
Für den erfolgreichen Aufbau einer eigenen Luftfahrtindustrie griff man in der DDR auch auf die Kompetenz der ehemaligen Siebel-Flugzeugwerke zurück. Als Maschinen- und Apparatebau Schkeuditz trug das Werk z. B. seinen Teil zur Entwicklung des Verkehrs-Jets 152 bei.
Wenig bekannt ist die schon Anfang der 1950er-Jahre umfassende Planung des Aufbaus einer Luftfahrtindustrie in der DDR. Davon war allerdings im ersten Fünfjahrplan vom Juli 1950 noch keine Rede. Ein internes Exposé vom 19. Mai 1952 des Ministeriums für Maschinenbau sah vor, ab 15. Juni 1952 mit der Entwicklung von Schul- und Sportflugzeugen zu beginnen und ab 1953 in die Produktion einzusteigen. Für Ende 1953 war der Fertigungsbeginn von Post- und Kurierflugzeugen vorgesehen und bereits ab Anfang 1954 sollte die Herstellung von Jagdflugzeugen beginnen. Der ehemalige Siebel-Standort Schkeuditz war für die Endmontage der MiG-15bis vorgesehen. Ab Ende 1954 war die Erweiterung des Militärflugzeugbaus mit dem Bau von Transportflugzeugen und ab Mitte 1955 die Fertigung von Bombenflugzeugen geplant. Erste Auslieferungen sollten 1957 erfolgen.
Ein solcher Alleingang seitens der DDR war faktisch unmöglich. Diese Planungen basierten auf Entscheidungen der Sowjetunion, im Rahmen des RGW eine gewisse Arbeitsteilung auf dem Sektor Flugzeugbau mit der DDR zu praktizieren. Mit Sicherheit kann man davon ausgehen, dass die gewonnenen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den deutschen Spezialisten, zunächst unmittelbar nach Kriegsende noch auf deutschem Territorium und dann nach deren zwangsweiser Verbringung im Oktober 1946 in die Sowjetunion dort, ein Entscheidungsfaktor war.
Unter Leitung von Helmut Balluff wurde ein Sonderkonstruktionsbüro beim Maschinen- und Apparatebau (MAB) Schkeuditz etabliert und mit der Vorbereitung des Flugzeugbaus beauftragt. Zur Leitung des aus 170 Ingenieuren, technischen Zeichnern und Hilfskräften bestehenden Kollektivs gehörten der Abteilungsleiter Walter Rudorf und die Gruppenleiter Gerhard Bollet, Hellmut Albert, Werner Eckel und Max Schloßer. Die leitenden Konstrukteure Balluff, Albert und Schloßer kamen von den Siebel-Flugzeugwerken, waren dann im ?OKB-2 in Podberesje in der Sowjetunion tätig und gehörten zu den ersten Rückkehrern.
Die Zuspitzung der politischen Lage in der DDR, die mit den Ereignissen um den 17. Juni 1953 ihren Höhepunkt fand, führten zum Abbruch dieses Programms durch die Führung der DDR.
Der Ministerrat der DDR beschloss am 11. Juni 1953 die Auflösung der Sonderkonstruktionsbüros. Die Mitarbeiter erhielten die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Sowjetunion holte die schon nach Pirna angelieferten Baugruppen einer MiG-15bis wieder zurück. Der in Schkeuditz angefangene Neubau der Halle 5 wurde abgebrochen und stattdessen entstanden Neubauwohnungen. Damit endete vorerst das Projekt „DDR-Flugzeugbau“.
Balluff kämpfte um den Erhalt seines Konstruktionsbüros. Am 25. Juli 1953 wandte er sich mit einem Schreiben an den damaligen DDR-Innenminister, um zu erreichen, dass sein Kollektiv nicht aufgelöst wird: „Wir halten es für einen nicht wieder gutzumachenden Fehler, dieses gut eingespielte Konstruktionsbüro auseinanderzureißen, zumal die Unterbringung der technischen Kräfte bei der augenblicklichen Lage auf die größten Schwierigkeiten stößt…“
Vergeblich – erst im zweiten Ansatz eines DDR-Flugzeugbaus kam Balluff von Lommatzsch, dort hatte er unter Führung Roessings Segelflugzeuge entwickelt, mit ihm im Dezember 1957 nach Schkeuditz zurück. Trotzdem hielt die Sowjetunion den Gedanken einer Arbeitsteilung mit der DDR auf dem Sektor Flugzeugbau aufrecht.
1955 startet der Zivilflugzeugbau in der DDR
Der Betrieb VEB Maschinen- und Apparatebau (MAB) Schkeuditz gehörte, wie schon in der ersten Planung, mit dazu. Als Werk 805, unter Beibehaltung seines Namens, unterstand er ab dem 1. Mai 1955 der Verwaltung für Industriebedarf (VfI), die später in Verwaltung für Luftfahrtindustrie (VLI) umbenannt wurde und 1958 als Verwaltung Volkseigener Betriebe (VVB) Flugzeugbau firmierte. Das Nummernsystem der Betriebe wurde wahrscheinlich von der in der Sowjetunion üblichen Praxis übernommen. Der MAB Schkeuditz wurde für drei spezielle Aufgaben der DDR-Luftfahrtindustrie personell aufgestockt und technologisch ausgebaut:
– zentrale Reparaturwerft der Mitgliedsländer des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)
– Werk für Ausrüstungen und Geräte für den Flugzeugbau und den Flugbetrieb.
– Werk für Leitwerksbau und Fertigung von Flugzeugbestuhlungen
Die personelle Aufstockung erfolgte kurzfristig im Bereich Produktion und in den mittleren Leitungsebenen durch Einstellung von Spezialisten ehemaliger Flugzeugbauunternehmen, wie ATG und ERLA aus Leipzig, die systematisch mit der Aktion „Freimachung von Spezialisten“ aus den Nachfolgebetrieben, in denen sie sich nach Kriegsende eine neue berufliche Existenz geschaffen hatten, herausgezogen wurden. Sie ergänzten somit die „alten“ Flugzeugbauer der Siebel-Flugzeugwerke und der Lufthansawerkstätten, die gleichfalls im Betrieb MAB eine neue Existenz gefunden hatten. Die Werbung in der Leipziger Volkszeitung mit konkreten Angaben zu Gehaltsgruppen musste nur einmal erscheinen, danach waren alle Stellen besetzt.