Die Entwicklung des Space Shuttle – Teil 1

Die Entwicklung des Space Shuttle – Teil 1

Ein Faktor, der Größe und Auslegung eines Raumtransporters entscheiden beeinflusst, ist die Nutzlast. Wieviel soll der Transporter in den Orbit bringen, welche Ausmaße hat eine Nutzlast maximal und wie groß soll die Besatzung sein? In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre war die Raumfahrtgemeinde von ungebremsten Optimismus erfüllt. Bald würde es feste Basen auf dem Mond geben und in der Erdumlaufbahn würden Forschungs- und Aufklärungsstationen, Fabriken und Hotels kreisen. Die Besatzungen dieser Stationen müssten regelmäßig ausgetauscht werden. Tausende, wenn nicht zehntausende Tonnen Material müssten bis zur Jahrtausendwende ins All befördert werden. Ein regelmäßiger Flugverkehr, ähnlich der Passagierfliegerei, würde zwischen dem Erdboden und dem Orbit stattfinden.
Beispielhaft für die damaligen Vorstellungen mag das unbemannte Trägerprojekt Neptun sein, welches Heinz Hermann Koelle ab 1967 an der TU-Berlin betreute. Die Nutzlast für Neptun durfte einen Durchmesser bis 30 Meter haben und bis zu 337 Tonnen wiegen. Unbemannte Riesenraketen würden eine komplexe Infrastruktur der Menschheit im Weltraum aufbauen, für die Personalbeförderung und kleinere Nachschublieferungen war der Raumtransporter gedacht.
Um die weit ausufernden Projektauslegungen der Firmen auf einen tragfähigen Boden zu stellen, sah sich die NASA gezwungen, ein eigenes Raumgleiterprogramm zu starten. Ab August 1968 begann die sogenannte Phase A der Entwicklung des Space Shuttle. Hier sollten grundlegende Studien über Aufbau, Funktion und Kosten eines Raumtransporters durch amerikanische Firmen erstellt werden. Nur wenige Einschränkungen wurden gemacht. Das System sollte flugzeugähnlich und komplett wiederverwendbar sein. Als Aufgaben sollte der Raumgleiter erfüllen:
– Start und Beförderung von Nutzlasten inklusive Oberstufen mit Satelliten
– Treibstoffbeförderung zum Betanken von Raumschiffen im Orbit
– Wartung und Reparatur von Satelliten im Orbit
– Bemannte Forschungsmissionen für kurze Zeitdauer

Der Kilopreis für die Beförderung einer Nutzlast sollte gegenüber den bereits eingesetzten Raketen erheblich gesenkt werden. Aus diesen Grundsatzstudien sollten die Firmen in der Phase B das vielversprechenste Projekt auswählen und der NASA 1971 präsentieren. Die NASA würde sich einen Entwurf aussuchen, der dann in Phase C in die Detailberechnung und -konstruktion gehen würde. Phase D schließlich würde den Bau, die Erprobung und den Einsatz beinhalten.
Der Star unter den damaligen Raumschiffdesignern war Maxime Faget (1921 bis 2004). Er hatte die amerikanischen Raumkapseln Mercury und Gemini geschaffen sowie die Grundlagenentwürfe für die Apollokapsel. Der quirlige, geniale Ingenieur führte bei der NASA eigene Studien zu geflügelten Raumschiffen durch. Faget kam zu dem Ergebnis, dass die Form der Flügel erheblichen Einfluss auf die Nutzlast des Raumtransporters hatte. Bei einem Startabbruch musste der Transporter mit der Nutzlast an Bord landen können. Mit einem schlanken, flugzeugähnlichen Flügel könnte der Transporter nur wenig vom ballistischen Flugweg abweichen und maximal vier bis fünf Tonnen im Laderaum befördern. Mit einem Deltaflügel wären die Werte besser. Der Gleiter könnte auch Flugplätze abseits des ballistischen Flugweges ansteuern und bis zu maximal 30 Tonnen befördern. Derartig große Nutzlasten ergaben nach den Studien von Faget jedoch keinen Sinn. Beispielsweise sollten Module für Raumstationen besser und billiger mit normalen Wegwerfraketen befördert werden – und nicht unwichtig, dabei wären keine Menschen an Bord notwendig.

Am 1. April 1969 rief Faget seine wichtigsten Mitarbeiter zu einem Meeting zu sich ins Büro in Houston. Ungewöhnlich war einerseits eine derartige Vollversammlung im kleinen Büro Fagets und die Tatsache, dass er jeden aufgefordert hatte, unbedingt Stillschweigen zu bewahren. Als sich etwa 20 Frauen und Männer im Büro drängten, sprang der kleine Maxime Faget mit einem Satz auf seinen Schreibtisch und die Gespräche verstummten: „Ladies und Gentleman – wir werden das Raumschiff der nächsten Generation für die Vereinigten Staaten bauen!“ Aus einer Reisetasche holte Faget ein kleines Flugzeugmodell und warf es in die Luft. Das Modell kreiste einige Runden mit der Bugnase hoch oberhalb des Flugweges über den Köpfen der Ingenieure, bevor es jemand auffing. Das Modell hatte große Ähnlichkeit mit dem Raketenbomber von Eugen Sänger, ein Entwurf den hier im Raum jeder kannte.
Faget hatte damit den weiteren Weg vorgegeben. Die USA würden nach der Apollokapsel zukünftig mit einem Raketenflugzeug mit schlanken Tragflächen ins All fliegen. Mit diesem Entwurf würden keine großen Bauteile befördert werden müssen, es war eine Art kosmischer Lieferwagen. Einflüsse, die außerhalb des Bereichs eines Ingenieurs liegen, warfen jedoch die Pläne von Maxime Faget über den Haufen: Politik und Finanzen.