Fliegen mit dem Space Shuttle

Fliegen mit dem Space Shuttle

Anstatt sich den Ablauf eines Shuttle-Fluges in der Theorie anzuschauen, steigen Sie am besten selbst ein und nehmen auf dem linken Sitz Platz: Sie sind der Kommandant der nächsten Mission des (fiktiven) Space Shuttle „Intrepid“!
Etwa fünf bis drei Stunden vor dem Abheben besteigen Sie als erster Ihrer Besatzung durch die runde Luke den Orbiter. Seit etwa drei Stunden haben Astronautenkollegen der Ersatzcrew, die heute nicht fliegen, alle Schalter und Einstellungen überprüft und das Raumschiff für Sie vorbereitet. Mit den Technikern, die Ihnen in den Shuttle helfen, tauschen Astronauten immer einige witzige Bemerkungen oder kleine Späße aus. Über eine Alu-Leiter steigen Sie hinauf ins Cockpit. Ihr Sitz ist um 90 Grad gedreht, da der Orbiter jetzt senkrecht steht. Er ist wie eine Liege, auf die Sie sich mit Hilfe der Bodentechniker hinaufzwängen. Der klobige Raumanzug behindert Ihre Bewegungen, aber schließlich liegen Sie auf dem Rücken, die Knie angewinkelt zu einer Sitzhaltung. Die Techniker ziehen die Anschnallgurte fest. So fest, dass sie den Druck bei jedem Atemzug spüren und den Oberkörper nicht mehr bewegen können. Dann folgt Ihr Copilot, der auf dem rechten Sitz festgeschnallt wird. Sie lächeln sich kurz zu, machen ein paar aufmunternden Bemerkungen, dann konzentrieren Sie sich auf die Anzeigen vor Ihnen. Die NASA verfolgt eine strenge Kommunikationspolitik: strickt geschäftsmäßig. Da kennt man keinen Spass. Der Sprechverkehr wird von mehreren Astronauten im Kontrollzentrum verfolgt. Während des Einstiegs darf es noch lockerer zugehen, danach wird nur noch nach Protokoll gesprochen. Eine missverstandene flapsige Bemerkung könnte zu einem falschen Alarm führen.

Den vorletzten Tag vor dem Start haben Sie mit Ihrer Besatzung im Strandhaus der NASA nahe der Startrampe am Meer zugebracht. Traditionell wird hier mit nahen Angehörigen, aber ohne kleine Kinder, gegrillt und entspannt. Das Haus ist abgeschirmt und die Zusammenkunft wird von niemanden gestört. Mehrere Stunden vor dem Besteigen des Orbiters haben Sie mit der ganzen Besatzung, einem hochrangigen Vertreter der NASA und einem oder zwei Mitgliedern der Ersatzcrew gefrühstückt. Traditionell gibt es Steak, Rührei, Toast, wunschweise mit Marmelade und dazu starken, schwarzen Kaffee und Orangensaft. Die Stimmung ist bemüht locker, immer sind Fotografen der NASA und manchmal auch Pressevertreter dabei. Ehrlicherweise geben die meisten Astronauten zu, dass sie die Nacht vorher kein Auge zu gemacht haben. Ausnahmen gibt es selten, wie etwa John Young, der vor seinem Mondflug nach dem Wecken wieder eingeschlafen ist. Die Anspannung ist allen anzumerken. Ein Raumflug ist niemals Routine und alle sind sich bewusst, dass die Gefahr, den Flug nicht zu überleben, nicht geleugnet werden kann. Nach dem Frühstück gibt es ein letztes Briefing mit den aktuellen Wetterdaten und Hinweisen über den Stand der Startvorbereitungen, dann geht es in den Ankleideraum. Jeder Astronaut hat zwei oder drei Techniker der NASA und des Herstellers des Raumanzugs um sich. Jeder Handgriff ist dutzende Male geübt worden, aber heute ist alles anders – es wird ernst. Eine Art Lieferwagen bringt Sie und Ihre Crew zur Startrampe, ein Fahrstuhl führt nach oben in den „Weißen Raum“, die Schleuse zum Shuttle. Hier im White Room ist die Stimmung etwas entspannter. Man kennt die Techniker, es werden kleine Geschenke ausgetauscht und etwas gescherzt.

 


Mittlerweile haben auf den beiden Sitzen hinter Ihnen zwei Missionsspezialisten Platz genommen. Dies sind keine ausgebildeten Astronauten. Meist kommen sie von Firmen, deren Nutzlast hinten im Laderaum mitfliegt. Mehrere Monate, etwa ein halbes Jahr lang, wurde ihnen beigebracht, was sie an Wissen für einen Shuttleflug benötigen. Sie konnten im „Kotzbomber“ einige Sekunden Schwerelosigkeit erleben und mussten an Notfallübungen teilnehmen. Aber mit dem Flug des Shuttle oder seiner Steuerung haben die Nutzlastspezialisten nichts zu tun. Das Verhältnis innerhalb der Crew liegt bei den Astronauten zu den Missionsspezialisten irgendwo zwischen „netten Kollegen“ und „tollen Kumpeln.“