Foltern für die Forschung

Foltern für die Forschung

Von den zahlreichen Instituten der DVL – die fast alle Bereiche der Luftfahrt-Forschung abdeckten – verfügten nur wenige über einen eigenen Versuchsbereich. Eines davon war das Institut für Flugmedizin (IfF). Im Gegensatz zur heutigen Flugmedizin, bei der die Überprüfung der medizinischen Eignung von fliegendem Personal im Vordergrund steht, verfolgte das IfF eher andere Ziele. Im Mittelpunkt der Forschung standen vor allem die Erforschung von Hypoxie, sprich Sauerstoffmangel, sowie die Auswirkungen von starken Beschleunigungskräften – das waren maßgebliche Voraussetzungen für die Einführung des Schleudersitzes in der Militärfliegerei.
Zwar waren bereits im Ersten Weltkrieg erste flugmedizinische Untersuchungen wissenschaftlich begleitet worden, jedoch erst mit dem Übergang zu schnelleren und höher fliegenden Flugzeugtypen und mit der Integration der Forschung in den militärischen Bereich erwuchs die Notwendigkeit, sie zu institutionalisieren. Die dazu notwendigen Verfahren zu entwickeln und diese auch zu testen, war von Anfang an eine der Hauptaufgaben des IfF der DVL, als es 1934 gegründet wurde. Geleitet wurde die Institution bis zur Einstellung der Arbeiten Ende 1944 von Prof. Dr. Siegfried Ruff (1907-1988).
Neben dem IfF waren aber auch weitere Forschungskapazitäten mit dieser Aufgabe betraut, darunter das Luftfahrtmedizinische Institut (LFMI) des Reichsluftfahrtministeriums (RLM) in Berlin unter Leitung von Hubertus Strughold (1898-1986), das Institut für Luftfahrtmedizin in München (IfLM) unter Leitung von Georg August Weltz (1889-1963) und das Institut für Flugphysiologie der E-Stelle der Luftwaffe in Rechlin unter Leitung von Theodor Benzinger (1905-1999).
Ganz im Gegensatz zu technischen Fragestellungen der militärischen Luftfahrtforschung, wie beispielsweise Flugmechanik, Aerodynamik oder die Entwicklung von Flugmotoren, standen die hier gewonnenen Erkenntnisse der Flugmedizin kaum oder gar nicht im Fokus der Öffentlichkeit und wurden publizistisch, wenn überhaupt, nur in wenigen Fachveröffentlichungen verbreitet.

Versuche im Grenzbereich
Im Mittelpunkt der damaligen Forschungsarbeiten standen neben anderen Bereichen vor allem Fragen der Einwirkungen auf den menschlichen Organismus beim Rettungsvorgang aus Luftnotlagen: etwa dem Absprung mittels Fallschirm, bei Beschleunigungsvorgängen wie dem Katapultieren und beim Verlassen des Flugzeugs in größeren Höhen, verbunden mit Unterdruck und niedrigen Temperaturen. Während die „humanmedizinischen Forschungen“, also Untersuchungen unter Einbeziehung einer Versuchsperson auf den menschlichen Organismus in gewohnten Belastungsbereichen nur relativ geringe Beeinträchtigungen für Leben und Gesundheit zur Folge hatten, gelangte man bei starken G-Kräften und in niedrigen Sauerstoff- und Temperaturbereichen schnell an vertretbare Grenzen.
Mit der Einbeziehung des Menschen als Versuchsobjekt hatten die Elemente Geschwindigkeit, Beschleunigung, Luftdruck und Temperatur einen deutlichen Einfluss auf seine Psyche und vor allem seine Physis. Man stieß hierbei in jeder Beziehung in Grenzbereiche vor, und es entstand die Frage, inwieweit ein Einsatz der für die Versuche zur Verfügung stehenden Versuchspersonen wie Testpiloten und Wissenschaftler noch zu verantworten war. Diese Fragestellung wurde umso drängender, je weiter man die Grenzen hinausschob. Vorgegeben wurden diese durch die Weiterentwicklung der Flugzeugtechnik, die zunehmend Geschwindigkeiten bis an die Schallmauer und Flughöhen bis 19 000 Metern erreichte, in denen Temperaturen um -50°C und ein Luftdruck herrschte, der nur 7,7% desjenigen auf der Erdoberfläche betrug. Bedingungen also, die absolut lebensfeindlich für den menschlichen Organismus sind. Aber auch unter solchen Bedingungen war es eine Zielstellung, das menschliche Überleben zu gewährleisten.