Mach-3,5-Interkontinentalflugkörper der Luftwaffe 1944

Mach-3,5-Interkontinentalflugkörper der Luftwaffe 1944

Der 32-jährige Mineraloge und Ingenieur Dr. Wolf Trommsdorf schlug dem Heereswaffenamt 1936 eine Kombination aus Granate und Staustrahltriebwerk vor. Er war bei seinem Studium und der Promotion zu Kristallen in Göttingen auf die Arbeiten des österreichischen Physikers und Gasdynamikers Klaus Oswatitsch (1910 bis 1993) gestoßen, der dort forschte. Oswatitsch hatte einen Einlauf-Diffusor für Staustrahltriebwerke entworfen. Wenn ein kegelförmiger oder noch besser aus zwei Kegelwinkeln bestehender Körper im Lufteinlauf eines Rohres positioniert wird, so erzeugt der Körper bei hohen Überschallgeschwindigkeiten eine Stoßwelle, die einerseits die einströmende Luft so erhitzt, das Treibstoff sich im Inneren des Rohres selbst entzündet und andererseits bewirkt, dass das verbrannte Luft-Treibstoff-Gemisch nur nach hinten ausströmen kann. Der Oswatitsch-Diffusor war in den frühen 1930er-Jahren in Göttingen untersucht worden. Eine Granate mit einem zentralen Luftkanal mit einem Oswatitsch-Diffusor vorn, mit Treibstoff und einer Düse hinten, würde nach Verlassen des Geschützrohres weiter beschleunigen und so eine deutlich höhere Geschwindigkeit erreichen können – so die Theorie von Dr. Trommsdorff.

Etliche Varianten wurden ab 1938 getestet, bis eine gangbare Lösung gefunden war. Bei Versuchsschüssen in Kummersdorf erwiesen sich die Tr-Granaten bis Mach 6 als stabil fliegend, ab Mach 7 gerieten sie ins Taumeln. Die Antriebsbahn mit dem Staustrahltriebwerk bewegte sich in der Größenordnung von 1500 bis 3200 Metern Länge. Bei Schüssen mit der größten Variante aus der 28-cm-Eisenbahnkanone K5 erreichten die Tr-Granaten Ende 1944 eine Reichweite von 350 km. Nach nur acht Jahren Entwicklung war es gelungen, die Reichweite der bisher größten Kanone von 120 km etwa zu verdreifachen.

 


Unter der Bezeichnung D6000 berechnete Dr. Wolf Trommsdorff 1944 einen unbemannten Überschallflugkörper, der den Atlantik überqueren sollte. Dabei stand die Zahl 6000 für die angestrebte Höchstreichweite. Eine Nutzlast von 1000 kg sollte der Flugkörper mit einem Deltaflügel mit Sichel-Vorderkante mit 4250 km/h (Mach 3,5) befördern. Der Rumpf bestand aus einem auf zehn Meter verlängertem Staustrahltriebwerk. Im Oswatitsch-Diffusor sollte die Steuerelektronik und die Sprengladung verstaut werden. Die 5017 kg Brennstoff waren in den Tragflächen und im Rumpf untergebracht. Vor der Ausströmdüse sorgte eine Turbine für die Stromversorgung der Bordgeräte. Gestartet werden sollte die D6000 von einem Trägerflugzeug aus. Unter der nicht weiter spezifizierten Trägermaschine hängend, sollte der Flugkörper von einer französischen Basis aus starten und über dem Atlantik in einer Höhe von 14 Kilometern bei 720 km/h ausgeklinkt werden. Zwei jeweils an den Tragflächen­enden befestigte Feststoffraketen brachten die D6000 im Sturzflug auf die zum Zünden des Trommsdorff-Antriebs notwendige Geschwindigkeit von 3060 km/h und wurden dann abgeworfen. Die D6000 stieg danach auf ihre Reiseflughöhe von 24 km.

Trommsdorff fiel bei Kriegsende in sowjetische Hände und arbeitete dort bis 1952 weiter an seinen Plänen. In den 1960er-Jahren gelangten Angaben und Fotos des sowjetischen Interkontinental-Flugkörpers Lawotschkin La-350 Burya in den Westen. Der Delta-Flugkörper mit Staustrahlantrieb wurde mittels zweier Flüssigkeitsraketen gestartet. Wenn auch für den Transport einer Atombombe größer, ist die Ähnlichkeit mit der D6000 unverkennbar.

In der FRX 70 erfahren Sie mehr Details zu den Hyperschall-Granaten und dem Flugkörper D6000 mit Zeichnungen und technischen Daten.