RAF-Operation „Post Mortem“

RAF-Operation „Post Mortem“

Am 5. Mai 1945 war bei Lüneburg eine Teilkapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft getreten, welche die Wehrmachtsteile in den Niederlanden, Nordwestdeutschland und Dänemark betraf und von Feldmarschall Bernard Montgomery entgegengenommen wurde. Danach hielten deutsche Truppenteile auch nach der Kapitulation in Reims am 6./7. Mai 1945 in Teilen Nordwestdeutschlands und Dänemarks einen relativ normalen Dienstbetrieb aufrecht. Auch wurden die Antennenanlagen der unterschiedlichsten Art in Schleswig-Holstein und im jütländischen Dänemark weder abgebaut oder zerstört, wie dies bereits in Frankreich, Belgien und den Niederlanden geschah, sondern diese wurden bewacht und blieben offensichtlich auch betriebsbereit.

Den Krieg nachstellen
Dies ist nur zu verstehen, wenn man sich die erheblichen Verluste des britischen Bomber Command vor Augen führt, das in den Kriegsjahren den nächtlichen Luftkrieg gegen Deutschland geführt hatte. Dabei wurden auf dem Gebiet des funkelektronischen Kampfes, der Störung und Täuschung von Führungs-, Nachrichten- und Beobachtungsanlagen beider Seiten umfangreiche Ressourcen eingesetzt. Relativ unklar blieb aber die Wirksamkeit dieser elektronischen Kriegführung. Die ehemaligen Gegner sollten daher mit ihren Kräften, mit Mensch und Material, noch einmal die Kriegshandlungen nachstellen – jedoch ohne Waffeneinsatz. Die Idee, ein solches Szenario so kurz nach dem Waffengang mit beiden Seiten noch einmal nachzuvollziehen, dürfte in der Kriegsgeschichte wohl als einmalig zu bezeichnen sein.
Bereits im Juni 1945 entstand im britischen Air Ministry der Gedanke an eine realistische Kampfsimulation. Ausgeschlossen wurde nur der Waffengebrauch und der Einsatz deutscher Jagdflieger. Es konnte vermutet werden, dass sich deutsche Piloten mit ihren Flugzeugen in das neutrale Schweden absetzen. Der Plan zum Vorhaben lief unter dem Titel „Report on an Investigation of a portion of the German Raid reporting and Control System – Exercise Post Mortem“ (Bericht über eine Untersuchung eines Teils des deutschen Melde- und Führungssystems bei Bombenangriffen). Bezeichnend ist die Verwendung des lateinischen Begriffs „nach dem Tode“ zur Charakterisierung des Übungsinhalts. Hauptziel dieser Übung sollte es sein, „…die deutschen Methoden zu untersuchen, wie man die Verteidigung gegen Luftangriffe organisiert und die Kontrolle über britische Bombenangriffe behält sowie dabei insbesondere die Wirkung britischer funktechnischer Gegenmaßnahmen auf die eigene Verteidigungsorganisation und auf eigene Radaranlagen verhindert.“

 

Die einzigen Schwierigkeiten während der Vorbereitung bestanden darin, die von der dänischen Seite bereits gekappten Telefonleitungen zwischen den einzelnen deutschen Führungs- und Stellungssystemen wieder in Betrieb zu nehmen und das Transportproblem für die große Zahl der britischen Beobachter und Dolmetscher zu lösen. Die Leitung der Übung lag beim Hauptquartier der 2. TAF, in dem der Leitende der Übung, Air Commodore Walter G. Pretty, am 20. Juni auf dem Luftweg eintraf. Die britischen Beobachter mit 59 Offizieren und 72 Spezialisten in Unteroffiziersrängen trafen am 23. Juni auf den Flugplätzen Schleswig und Grove (heute Karup) ein und wurden von hier auf die beteiligten Standorte der Luftwaffe verteilt. Auch Air Commodore Pretty und Group Captain R. Hiscox landeten an diesem Tag in Schleswig, wo sie sich sofort gemeinsam mit Wing Commander Keighley zum Hauptquartier der Luftflotte Reich begaben. Ihr dortiger Ansprechpartner war Generalmajor Alfred Boner, Nachrichtenoffizier im Verbindungsstab des OKW beim Headquarter von Dwight D. Eisenhower. General Boner war als verantwortlicher Chef Nachrichtenwesen für die deutsche Seite der Übung verantwortlich. Er, wie auch die genannten Briten, flogen zum für die Übung festgelegten Zentrum der Handlung, dem Fliegerhorst Grove, wo sich die zentrale Führungsstelle der deutschen Luftverteidigung für Jütland und Dänemark befand und der jetzt als Operationszentrale für die Übung genutzt wurde.
An die deutsche Seite erging die Forderung, die Einsatzbereitschaft der Funkmessgeräte (im britischen Sprachgebrauch Radar), des Netzes der Luftbeobachtungsposten und des Nachtjäger-Führungssystems herzustellen. Besonders wichtig waren dabei die Anlagen zur Erfassung und Störung der britischen Bomberkräfte. Im verbunkerten Gefechtsstand des ehemaligen Jagdabschnittsführers Dänemark in Grove mit dem Decknamen „Gyges“ liefen alle Informationen zusammen. Im Rahmen der Übung waren die Meldungen natürlich begrenzt und erreichten bei weitem nicht das Niveau des Kriegszustandes. Im Krieg war „Gyges“ verantwortlich für die gesamte Luftabwehr Dänemarks, unterstand aber führungsmäßig dem Gefechtsstand der 2. Jagddivision im Großbunker „Sokrates“ in Stade, wo letztendlich die Entscheidungen für den Kräfteeinsatz der deutschen Luftverteidigung im Gesamtraum Dänemark/Norddeutschland getroffen wurden. Für die Übung stellte dies ein Manko dar, da eine entscheidende kriegserfahrene Führungsebene nicht mehr vorhanden war.