Der Torpedogleiter der Luftwaffe, Blohm und Voss L 10

Der Torpedogleiter der Luftwaffe, Blohm und Voss L 10

Nach der Enttarnung der Luftwaffe 1935 gab es in Deutschland die ungewöhnliche Situation, dass die Marine nicht über eigene Angriffs-Fliegerkräfte verfügte. Schiffsbekämpfung war die Sache der Luftwaffe. In der neuen Luftwaffe bestimmten aber aus dem Heer stammende Führungskräfte die Taktik und Technik. Besonders schwierig wurde die Schiffsbekämpfung zusätzlich durch die technische Unzulänglichkeit deutscher Torpedos. Bei einer Übung im Sommer 1939 erwies sich jeder zweite abgeworfene Torpedo als Versager. Deswegen verwendet die Marine die als sehr zuverlässig geltenden italienischen Modelle, die aber nur in kleineren Mengen gekauft werden konnten. Die Luftwaffe hielt eine Bekämpfung von Schiffen mittels normaler Fallbomben aus diesen Gründen für die beste Möglichkeit.
Kompetenzgerangel zwischen der Marine und Luftwaffe behinderten eine zielgerichtete Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bei deutschen Torpedos. Deswegen wurden in Deutschland nur wenige aus der Luft abwerfbare Torpedos (Luft-Torpedo, LT) gefertigt. Der Gesamtbestand an Luft-Torpedos belief sich beispielsweise in Deutschland im September 1940 auf 38 Stück und im März 1941 auf ganze 37 Stück. Erst die lange aufgeschobene Neuorganisation der Führung der Bomberkräfte brachte hier eine Verbesserung, die aber die Kriegssituation Deutschlands nicht mehr beeinflussen konnte. Im Dezember 1942 wurde der junge Major Werner Baumbach als Bevollmächtigter für ferngelenkte Flugkörper eingesetzt. Im Juni 1943 wurde schließlich mit Oberst Martin Harlinghausen (vom KG 26 kommend) ein Bevollmächtigter für die Lufttorpedowaffe (B.f.LT.) ernannt. Beide waren dem Oberkommandierenden der Luftwaffe, Hermann Göring, direkt unterstellt. Dieser aber, so die Aussagen von führenden Luftwaffenoffizieren nach dem Krieg, hatte kein Gespür für den Kampf gegen Schiffe, das Meer war ihm fremd.


Die ersten Flugzeuge der Luftwaffe, die Torpedos über dem Meer einsetzen sollten, waren Doppeldecker mit Schwimmern. Später kam das moderne Seeflugzeug Heinkel He 115 dazu, welches aber auch nicht kriegs-einsatzfähig war. Mit dem Bomber Heinkel He 111 erhielt das einzige schlagkräftige LT-Geschwader, das KG 26, endlich ein brauchbares Flugzeugmuster. Später flog das KG 26 die Junkers Ju 88. Die schon vor dem Krieg eigentlich als Einsatztyp vorgesehene Heinkel He 177 erwies sich als technischer Fehlschlag und wurde nicht im Einsatz verwendet.
Mit dem Luft-Torpedo LT F 5b verfügte die Luftwaffe endlich über ein einsatzfähiges Torpedomuster. Dieser war eine Weiterentwicklung eines norwegischen Horten-Typs. Der LT F 5b war der am meisten bei der Luftwaffe verwendete Typ. Einsätze erfolgten ab Herbst 1941. Der 5,15 Meter lange Torpedo wog 750 kg und konnte unter Wasser 2300 Meter bei 40 Knoten und bis hin zu 7500 Meter bei 24 Knoten zurücklegen. Die Sprengladung wog 200 kg. Luft-Torpedos, die aus Höhen über zehn Metern geworfen wurden, wurden für die Flugphase bis zum Eintauchen mit einem zusätzlichen Leitwerk am Heck versehen. Dieses brach beim Aufprall auf die Wasseroberfläche ab. Für noch höhere Wurfhöhen und Fluggeschwindigkeiten bis 500 km/h (geplant bis 800 km/h) erhielten Luft-Torpedos Bremsschirme.

Bei den Luft-Torpedos musste sich das Trägerflugzeug dem Ziel immer noch gefährlich nähern. Nach dem Abwurf musste dann noch eine Ausweichkurve geflogen werden, welche die Entfernung zum Ziel weiter verkürzte. Mit dem Auftreten der stark verteidigten Geleitzüge im Atlantik und Mittelmeer mit ihren Begleitzerstörern war es nahezu unmöglich, ungefährdet auf Wurfentfernung für einen Torpedo an einen Frachter zu gelangen. So kam die Luftwaffe wieder auf die Siemens-Idee des Ersten Weltkriegs zurück. Ein mit Flügeln versehener Torpedo sollte einen großen Teil der Distanz zum Ziel fliegend zurücklegen. Dicht über der Wasseroberfläche wurde der Torpedo vom Fluggerät getrennt und trat ins Wasser ein, wo er mit eigener Kraft weiter auf das Ziel zusteuerte. Die Trennhöhe sollte nicht über zehn Meter liegen, diesen Aufprall konnten Torpedos mechanisch noch gut verkraften. Das Reichsluftfahrtministerium trat nicht als Ideengeber oder Auftraggeber bei der Entwicklung von fliegenden Anti-Schiffs-Waffen auf. Sowohl Torpedos mit Flügelanbauten, als auch Flugkörper mit Sprengkopf wurden auf Initiative von Privatfirmen oder Instituten entworfen und getestet. Dann dem RLM vorgestellt, gab das Ministerium oft einen Teil der Entwicklungskosten dazu.
Die Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) hatte schon seit dem Oktober 1940 einen solchen Gleiter in der Entwicklung. Dabei hing der Torpedo unter einem Balken, an dem vorn die Tragflächen und hinten ein Leitwerk befestigt waren. Aus einem Torpedo LT-5b wurde so der LT 5F (Fliegend). Windkanaluntersuchungen führten zu Änderungen, sodass zwei Versionen als GT 1 und GT 2 vorgeschlagen wurden. Noch zeigte die Luftwaffe aber kein Interesse. Parallel arbeitete die Luftfahrt-Forschungsanstalt Braunschweig an einer ähnlichen Variante. Der LT 9,2 mit dem Tarnnamen „Frosch“ war vielversprechend. Erste Versuche mit einem mit Flügeln versehenen Torpedo erfolgten im Frühjahr 1942. Der die Flügel und das Leitwerk tragende Balken wurde anfangs oben mit einer Seitenflosse versehen, die dann später entfiel. Die Versuche scheinen nicht befriedigend verlaufen zu sein.


Bei der Firma Blohm und Voß hatte der bekannte Konstrukteur Richard Voigt einen eigenen Entwurf erarbeitet. Bezeichnet als L 10 „Friedensengel“ wies er Entwicklungspotenzial auf: Die Luftwaffe förderte diesen Flugkörper und ließ Versuchsmuster fertigen. Der ursprüngliche Entwurf sah vor, dass mit dem Trägerflugzeug eine entsprechend dem Ziel gewählte Abwurfhöhe, -richtung und -geschwidigkeit gewählt werden sollte. Nach dem Abwurf sollte der Gleiter ungesteuert, aber eigenstabil auf dem vorgewählten Flugpfad fliegen und den Torpedo dann in Zielrichtung ins Wasser fallen lassen. Es gelang jedoch nie, den Gleiter bei Einflüssen wie Wind, Propeller- oder Rumpfströmung auf den richtigen Kurs zu bringen. Versuche, die Flugstabilität zu erhöhen, indem vorn und hinten eine Tragfläche angebracht wurde, schlugen fehl. Die Erkenntnis, dass der ungesteuerte Wurf nie zu einem Treffer führen würde, verzögerte die gesamte Entwicklung. Es musste erst eine Drei-Achs-Steuerung entwickelt und erprobt werden.