Flog die Me 262 wirklich schneller als der Schall?

Flog die Me 262 wirklich schneller als der Schall?

Lesen Sie einen  Auszug aus dem detaillierten  23-Seiten-Bericht :

Am 9. April 1945 startete der  Oberfähnrich Hans Guido Mutke mit einer Me 262 zu einem Schulungsflug. Bei einem Sturzflug mit dem Düsenjäger geriet das Flugzeug außer Kontrolle und wurde heftig geschüttelt. Als Gast eines Votrages 1989 behauptete Guido Mutke (Hans ließ er selbst weg) dabei die Schallgeschwindigkeit erreicht, später sogar, sie überschritten zu haben.
Ende der 1990er-Jahre wollte Guido Mutke seine Biographie vom Luftfahrthistoriker Walter J. Boyne, den ehemaligen Direktor des Luft- und Raumfahrtmuseums in Washington, schreiben lassen. Dieser traf sich einige Male mit mit dem Piloten, nahm aber aus nicht bekannten Gründen Abstand von dem Vorhaben. Die Schilderungen des Fluges vom 9. April 1945, die Boyne später in kurzer Form in einer englischsprachigen Zeitschrift veröffentlichte, basieren also auf der Variante, die Guido Mutke für seine zu publizierende Biographie zu Grunde legte. Betrachten wir diese Geschichte hier als die „offizielle Version“:

Ein denkwürdiger Sturzflug
Als Nachtjägerpilot wurde Oberfähnrich Guido Mutke Anfang April 1945 zum EJG 2 (Ergänzungsjagdgeschwader) ins bayerische Lechfeld zur Umschulung auf den Strahljäger Me 262 kommandiert. Kommandeur dieser Einheit war Oberleutnant Heinz Bär, mit über 200 Luftsiegen ein erfahrener Jagdflieger. Vier Tage lang erhielt Mutke mit anderen Umschülern eine theoretische Einweisung auf das neue Strahltriebwerk und den Umgang mit der Me 262. Gelegentlich ging man hinaus zu einer Maschine und ließ die Triebwerke an. Der erste Flug mit dem Düsenjäger erfolgte in Ermangelung einer zweisitzigen Schulmaschine dann schon als Alleinflug. Er empfand beim Fliegen mit der Me 262 keine großen Schwierigkeiten.

262 nl01

Da es beim EJG 2 oft keine zweisitzige Me-262-Schulmaschine gab, rollten die Flugschüler mit einem Fluglehrer auf der Tragfläche, um sich mit der Maschine vertraut zu machen.

Teil der Umschulung war es, die 262 und ihre Strahltriebwerke in großen Höhen zu erfliegen. Am 9. April 1945 startete Guido Mutke mit der Me 262 „Weiße 9“ zu solch einem Höhenflug. Als er 12 000 Meter Flughöhe erreicht hatte, hörte er plötzlich über Funk einen Warnruf. Heinz Bär rief einem anderen Düsenpiloten zu, dieser werde von einer amerikanischen Mustang verfolgt. Der Pilot gab Vollschub und warf den Strahler in einen Sturzflug, um dem Kameraden zu helfen. Die 262 nahm schnell Geschwindigkeit auf und begann zu vibrieren. In etwa 11 000 Metern Höhe klebte die Zeigernadel des Geschwindigkeitsmessers hinter der roten Warnlinie an der Höchstmarke von 1100 km/h. Das Flugzeug wurde heftig geschüttelt und geriet offensichtlich außer Kontrolle. Eingaben am Steuerknüppel führten zu keiner Reaktion der Maschine. Als Mutke den Steuerknüppel weiterhin heftig hin und her bewegte, begann die Messerschmitt kurzzeitig wieder zu folgen, nur um kurz darauf ohne Kontrolle weiter zu stürzen. Da die Maschine auf Bewegungen des Steuerknüppels nicht mehr reagierte, verstellte der Flugzeugführer mit dem Trimmrad den Anstellwinkel des Höhenleitwerks. Die Fluggeschwindigkeit nahm ab und das Flugzeug gelangte endlich wieder unter die Kontrolle des Piloten. Doch beim Sturzflug waren die Triebwerke erloschen. Guido Mutke wartete, bis seine Me 262 eine niedrigere Flughöhe und Geschwindigkeit erreicht hatte und es gelang ihm, beide Turbos im Flug neu zu starten. Vorsichtig geworden, steuerte er seinen Strahljäger zurück nach Lechfeld. Dort wartete schon Heinz Bär auf ihn. Es war offensichtlich, dass die Me 262 schwer beschädigt war. Die Tragflächen waren verbogen und Nieten waren abgeplatzt. Bär beschuldigte den Piloten, schneller als die rote Linie bei 950 km/h auf dem Geschwindigkeitsmesser geflogen zu sein. Mutke tat, was jeder in dieser Situation tun würde, er log. Nein, er sei nur die befohlenen Standard-Manöver geflogen.
Zu jener Zeit hatte Guido Mutke noch keine Ahnung, welche Anzeichen es dafür gibt, wenn ein Flugzeug sich der Schallgeschwindigkeit nähert oder sie überschreitet. Erst als er die Schilderungen 1989 auf einer Feier zum 50. Jahrestag des ersten Fluges eines Düsenflugzeugs hörte, wurde ihm bewußt, er könnte bei seinem Sturzflug am 9. April 1945 die Schallmauer durchbrochen haben. Seitdem behauptete er öffentlich, noch vor Chuck Yeager, der erste Mensch gewesen zu sein, der schneller als der Schall flog.

262 weisse 9

Die Me 262 Werknummer 111 617, mit der Guido Mutke am 9. April 1945 flog. Die Maschine ist ein seltenes Exemplar mit einem hölzernen Seitenleitwerk.
Fragen über Fragen
Nehmen wir diese Schilderung des Fluges als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Behauptung, Guido Mutke sei mit der Me 262 schneller als der Schall geflogen.
Gibt es Zeugen? Nein – Die Maschine war ein Einsitzer, also konnte kein zweites Besatzungsmitglied Zeuge sein.

Gibt es Sachzeugen? Nein – Die Me 262 besaß keinen Flugschreiber. Fotos, die Mutkes Maschine mit den geschilderten Schäden nach der Landung zeigen, sind nicht bekannt. Wie noch gezeigt wird, entstanden die behaupteten Deformierungen auch an anderen 262, ohne dass daraus auf einen Flug durch die Schallmauer geschlossen werden kann.

Hochgeschwindigkeitsflüge
Ende 1943 wurden mit dem dritten Prototyp Me 262 V-3 Hochgeschwindigkeitsflüge durchgeführt. Der Werkspilot Gerd Lindner erreichte mit der Maschine am 3. Oktober 1943 in einer Flughöhe von 5000 m eine horizontale Höchstgeschwindigkeit von 950 km/h. Bei später durchgeführten Bahnneigungsflügen mit noch höheren Geschwindigkeiten geriet das Rumpfhinterteil ins Flattern und wurde schwer beschädigt. Durch die heftigen Biegeschwingungen waren etliche Nieten herausgeplatzt, eine Zerstörung des Rumpfes im Flug konnte knapp verhindert werden. Bei Messerschmitt entschied man sich deswegen, keine Testflüge mit hohen Geschwindigkeiten mehr durchzuführen, sondern einen Me-262-Rumpf aus großer Höhe abzuwerfen, um diese Erscheinung zu analysieren. Gelegentlich wurden noch etwa 1050 km/h von Werks-Einfliegern und Abnahmepiloten der Luftwaffe erzielt. Darüber hinaus ging man aber bewusst nicht.
Ein weiteres Ergebnis der Überschreitung der maximal zulässigen Geschwindigkeit war ein Verbiegen der äußeren Flügel. Bei Testflügen trat dies des Öfteren auf und führte dazu, dass die Maschine nicht mehr voll einsetzbar war oder meist sogar aus dem Flugbetrieb genommen werden musste. Als Ursache wurden die typische leichte Bauweise von Messerschmitt und auch Produktionsfehler beim Vernieten der Holme oder beim Einpassen der Bleche vermutet.

Flattern des Rumpfhecks
Das Flatterverhalten der 262 hatte die Firma Messerschmitt so sehr beunruhigt, dass man eine strikte Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf maximal 1000 km/h ausgab. Ab einem Bereich von etwa 1050 km/h habe das Flattern eingesetzt und eine Zerstörung des Rumpfes beim Beibehalten oder bei der Steigerung der Geschwindigkeit sei unausweichlich gewesen. Im Pilotenhandbuch der Me 262 von 1944 wurden die höchstzulässigen Geschwindigkeiten wie folgt angegeben:
Waagerechtflug bis 8 km Höhe:  950 km/h
Waagerechtflug über 8 km Höhe:  900 km/h
Mit Landeklappen:  300 km/h
Bei Fahrwerksbetätigung:  300 km/h
Im Sturzflug:  1000 km/h

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Als Auslöser des Flatterns des Hinterrumpfes war schnell der Wirbelnachlauf hinter der Kabinenhaube erkannt. Je nach Fluggeschwindigkeit wird die Wellenlänge der Luftschwingung größer, diese führt aber mehr Energie mit sich. Bei einer bestimmten Fluggeschwindigkeit trifft dieser Wirbel die Eigenfrequenz des hinteren Rumpfsegmentes. Der Rumpf beginnt hier zu schwingen und nimmt immer mehr Energie auf, bis das Bauteil zerbricht. Bei der Me 262 liegt diese entscheidende Geschwindigkeit bei um die 1100 km/h.

Im ausführlichen Artikel werden die Belege, die für einen Überschallflug angebracht werden, untersucht: etwa der Überschall-Warn-Hinweis in einem amerikanischen Pilotenhandbuch der Me 262 von 1946 und die oft angeführte aerodynamische Untersuchung der TU-München zur Me 262. Auch die dagegen sprechenden Argumente, wie das Rumpf-Flattern bei der Me 262, das durch Rumpfabwürfe geklärt werden sollte, werden ebenso geschildert, wie die nachlassenden Leistungen der Triebwerke in verschiedenen Höhen. Beschrieben wird auch der Umschulungslehrgang beim EJG 2 zur Me 262, was mussten die Piloten dort lernen? Verschiedene Versionen der Erzählung durch den Flugzeugführer selbst werden gegenübergestellt und schließlich die Schlüsse aus den vorgelegten Argumenten gezogen.